Der Jungbullen-Fall – Musterlösung, Schema & Sachverhalt einfach erklärt

Aug 05, 2025
 

1. Einleitung

Der Jungbullen-Fall (BGHZ 55, 176 -VIII ZR 261/69) zählt zu den absoluten Klassikern im Sachenrecht und ist ein Dauerbrenner im Grundstudium und ersten Examen im Zivilrecht. Er thematisiert gleich mehrere zentrale Prüfungskomplexe: den gutgläubigen Erwerb nach den §§ 932 ff. BGB, das Eigentumserwerbsrecht durch Verarbeitung des Jungbullen gemäß § 950 BGB, die Mehrpersonenverhältnisse im Bereicherungsrecht sowie das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (EBV) und dessen Sperrwirkung. Die Fallkonstellation eignet sich perfekt, um anhand eines klaren Schemas die verschiedenen Anspruchsgrundlagen abzuarbeiten.

Wenn du nicht lesen willst, kannst du dir einfach unser Erklärvideo oben anschauen. Dort erklären wir den Fall Schritt für Schritt mit Schema, Musterlösung und Prüfungsaufbau.

 

2. Sachverhalt (kurz zusammengefasst)

A ist Eigentümerin eines Jungbullen im Wert von 2.000 Euro. Der Dieb B stiehlt den Bullen und verkauft ihn für 1.500 Euro an Metzgermeister C, der von dem Diebstahl nichts weiß. C schlachtet den Bullen und verarbeitet ihn zu Würsten im Wert von 5.000 Euro. A verlangt nun Wertersatz i.H.v. 2.000 Euro von C. C lehnt dies ab und verweist auf seinen gutgläubigen Kaufvertrag mit B.

Hat A gegen C einen Anspruch auf Zahlung von 2.000 Euro? 

 

3. Lösungsskizze (Kurzübersicht - Schema)

A. Anspruch gemäß §§ 989, 990 Abs. 1 BGB (-)

I. Vindikationslage

1. Eigentum des A (+)

a. Ursprüngliches Eigentum: A

b. Eigentumserwerb des C gemäß §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1 BGB (-)

aa. Dingliche Einigung (+)

bb. Übergabe (+)

cc. Einigsein (+)

dd. Nichtberechtigung

ee. Gutgläubiger Erwerb (-)

(1) Rechtsscheintatbestand

(2) Gutgläubigkeit, § 932 Abs. 2 BGB

(3) Kein Abhandenkommen, § 935 Abs. 1 S. 1 BGB

2. Besitz von C (+)

3. Kein Recht zum Besitz (+)

II. Bösgläubigkeit von C (-)

 

B. Anspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB (-)

P: Sperrwirkung des EBV (§ 993 Abs. 1 Hs. 2 BGB)

 

C. Anspruch gemäß §§ 951 Abs. 1 S. 1, 812 Abs. 1 S. 1 Fall 2, 818 Abs. 2 BGB

I. Anwendbarkeit neben dem EBV (+)

II. Rechtsverlust nach den §§ 946 ff. BGB (+)

III. Etwas erlangt (+)

IV. In sonstiger Weise auf Kosten eines anderen (+)

P: Vorrang der Leistungskondiktion

V. Ohne Rechtsgrund (+)

VI. Rechtsfolge: § 818 Abs. 2, 3 BGB (+)

 

 

4. Anspruch aus §§ 989, 990 I BGB (EBV)

Ein Anspruch der A gegen C auf Wertersatz gemäß §§ 989, 990 Abs. 1 BGB setzt eine Vindikationslage voraus:

  • A war Eigentümerin des Jungbullen. Denn wegen § 935 BGB konnte C kein Eigentum erwerben. § 951 BGB hilft C bezüglich der Jungbullen auch nicht weiter, weil es hier auf den Zeitpunkt der Verarbeitung ankommt und nicht auf den Zeitpunkt danach.

  • C war Besitzer, hatte aber kein Besitzrecht, da der Kaufvertrag zwischen B und C keine Wirkung im Verhältnis A-C entfaltet

Allerdings war C nicht bösgläubig hinsichtlich seiner Besitzberechtigung (analog zu § 932 Abs. 2 BGB).

Ergebnis: Kein Anspruch aus EBV.

 

5. Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB 

Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Eigentumsverletzung könnte naheliegen. Jedoch greift hier die Sperrwirkung des EBV gemäß § 993 Abs. 1 Hs. 2 BGB ein, da C gutgläubiger Besitzer war.

🔹 Ergebnis: Kein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB.

 

6. Anspruch aus §§ 951, 812, 818 BGB (Bereicherungsrecht)

A könnte jedoch einen Anspruch aus §§ 951 Abs. 1 S. 1, 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, 818 Abs. 2 BGB haben.

a) Anwendbarkeit neben EBV

Die Sperrwirkung des EBV greift nicht, denn sie bezieht sich nur auf Ansprüche, die auf Schadens- oder Nutzungsersatz gerichtet sind. Die Anwendbarkeit von bereicherungsrechtlichen Ansprüchen in Folge von Verbrauch, Veräußerung oder Verarbeitung der Sache, ist durch § 993 Abs. 1 Hs. 2 BGB nicht ausgeschlossen, da es sich hierbei nicht um Schadensersatz- oder Nutzungsersatzansprüchen handelt. § 951 BGB ist ein bereicherungsrechtlicher Anspruch, der als Rechtsfortwirkungsanspruch dem ursprünglichen Eigentümer Wertersatz zugesteht, wenn er sein Eigentum und damit auch seinen Anspruch aus § 985 BGB durch gesetzlichen Eigentumserwerb verliert. Es handelt sich daher nicht um einen Anspruch, der auf Nutzungs- oder Schadensersatz gerichtet ist. Mithin ist der Anspruch nicht durch § 993 Abs. 1 Hs. 2 BGB ausgeschlossen. Der Anspruch ist anwendbar.  

b) Eigentumsverlust durch Verarbeitung

C hat durch Verarbeitung gemäß § 950 BGB Eigentum an den Würsten erworben → A hat ihr Eigentum verloren.

c) Etwas erlangt (+)

C hat Eigentum an einer neuen Sache erworben.

d) Auf Kosten der A (+)

C müsste dies auch in sonstiger Weise auf Kosten eines anderen erlangt haben. Problematisch ist hier, ob nicht möglicherweise eine vorrangige Leistung im Verhältnis zwischen B und C vorliegt, die einen Anspruch von A gegen C ausschließt. Nach dem Vorrang der Leistungskondiktion muss die Rückabwicklung grundsätzlich innerhalb der gescheiterten Leistungsbeziehungen erfolgen. Fraglich ist allerdings, ob der Vorrang der Leistungskondiktion im vorliegenden Fall überhaupt eingreift. 

 aa) Besitz = erlangtes Etwas 

Zum einen könnte man argumentieren, dass schon keine vorrangige Leistung zwischen B und C vorliegt. Aufgrund von § 935 BGB konnte B dem C lediglich den Besitz, nicht aber das Eigentum verschaffen. Mithin hat B an C nur den Besitz, nicht das Eigentum geleistet. Gegenstand der Kondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 Fall 2 BGB ist jedoch das Eigentum, welches C erst durch § 950 BGB und damit nicht durch eine Leistung von B erworben hat.   

 bb) Wertung des § 935 BGB 

Zum anderen könnte man argumentieren, dass selbst wenn eine vorrangige Leistung vorliegen würde, aus Wertungsgesichtspunkten jedenfalls eine Ausnahme vom Grundsatz des Vorrangs der Leistungskondiktion zu machen ist. C konnte wegen § 935 BGB rechtsgeschäftlich kein Eigentum erwerben. Der Eigentumserwerb erfolgte erst im Rahmen des gesetzlichen Eigentumserwerb, bei dem § 935 BGB keine Anwendung findet. Als Ausgleich dafür, dass der ursprüngliche Eigentümer dabei seinen Herausgabeanspruch nach § 985 BGB verliert, erwirbt er einen Wertersatzanspruch nach § 951 BGB (Rechtsfortwirkungsanspruch). Der ursprüngliche Eigentümer ist insoweit schutzwürdiger als der neue Eigentümer.  

Jedenfalls steht dem Anspruch der Grundsatz des Vorrangs der Leistungskondiktion nicht entgegen. C erwarb das Eigentum somit nicht durch Leistung, sondern auf andere Weise auf Kosten der A.  

e) Ohne Rechtsgrund (+)

§ 950 BGB ist kein Rechtsgrund. Über § 951 BGB wird ein Wertersatzanspruch kompensierend eingeräumt.

f) Rechtsfolge: Wertersatz gemäß § 818 Abs. 2 BGB

C schuldet Wertersatz in Höhe von 2.000 Euro. Eine Entreicherung wegen der Zahlung an B kann er sich nicht anrechnen lassen, weil § 951 BGB als Rechtsfortwirkungsanspruch an die Stelle von § 985 BGB tritt.

🔹 Ergebnis: A hat einen Anspruch gegen C auf Zahlung von 2.000 €.

 

7. Ansprüche gegen den Dieb B (Exkurs)

Wäre zusätzlich noch nach Ansprüchen gegen Dieb B gefragt, kämen folgende Anspruchsgrundlagen in Betracht:

  • GoA: §§ 687 Abs. 2, 678 BGB (Schadensersatz) oder §§ 687 Abs. 2, 681 S. 2, 667 BGB (Erlösherausgabe)
  • Dingliche Ansprüche: §§ 989, 990 Abs. 1 BGB (Schadensersatz); §§ 992, 823 IAbs. 1 BGB (Schadensersatz); §§ 992, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 242 StGB (Schadensersatz); §§ 985, 285 BGB (Erlösherausgabe)
  • Bereicherungsrecht: § 816 Abs. 1 S. 1 BGB (Erlösherausgabe, str.), aber nur dann, wenn A die Eigentumsübertragung nach § 185 Abs. 1 BGB genehmigt.

Erlösherausgabe meint bei diesen Ansprüchen den Kaufpreis, also 1.500 Euro. Die Schadensersatzansprüche würden in der Höhe des Wertes des Jungbullen bestehen, also 2.000 Euro.

 

8. Fazit & Relevanz für das Studium

Der Jungbullen-Fall ist ein exzellentes Lernbeispiel für die Verzahnung von:

  • Sachenrecht (Eigentum, Besitz, §§ 929, 932, 935 BGB)

  • EBV (§§ 989 ff. BGB)

  • Bereicherungsrecht (§§ 812 ff., 951 BGB)

  • Verarbeitung nach § 950 BGB

In vielen Fällen wird dieser Fall in Klausuren oder Mündlichen Prüfungen abgefragt, weil er viel Prüfungsstoff in einem konkreten Fall vereint.

Tipp: Schau dir das Erklärvideo oben an, um zu verstehen, wie Du auf die Lösung kommst!

 

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